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#22 Another Year: Musik & Interview mit Nicole Johänntgen

Nicole Johänntgen - alto sax // Anicia Kohler - keys // Chris Diggelmann - mix

aufgenommen im Oktober 2020 in Bern und Zürich

 

Wer Nicole unterstützen möchte, kann das Stück direkt via "buy"-Button kaufen und herunterladen – der gesamte Erlös geht an sie. Merci viumau im Voraus! :)

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Es ist soweit: die zweite Vignette mit Gast! Es sind bereits einige weitere geplant oder schon fast fertig. Und ich muss sagen, es ist jedesmal bereichernd, mit jemandem länger zu sprechen, der oder die Ähnliches macht wie man selber, und sich ähnliche Fragen stellt. Es sind immer inspirierende Gespräche. Und die Musik, die dabei herauskommt, geht in total unterschiedliche Richtungen – auch das ein riesiges Vergnügen!

 

Altsaxophonistin und Komponistin Nicole Johänntgen lebt in Zürich. Sie tritt mit unterschiedlichen Bands auf, unter anderem mit ihrem Jazzprojekt HENRY – einem Quartett – und Henrietta – einem Duo. Beide Projekte sind nach ihrem Vater benannt. Er ist wie sie ein Fan des traditionellen Jazz.

 

Im Sommer 2020 hat Nicole ein Workbook für Instrumentalist*innen herausgeben, mit einfachen bis schwierigen Stücken und Playalongs zur Begleitung. Es enthält 39 Stücke, weil sie sich das fertige Workbook quasi zum 39. Geburtstags geschenkt hat. Das fand ich eine coole Idee, und beschloss, sie darüber ein bisschen auszufragen – und ihr gleichzeitig mein Stück „Another Year“ für eine Duo-Version aus der Ferne vorzuschlagen. 

 

Das Stück stammt ursprünglich vom Soundtrack zu einem kleinen, bescheidenen Dokumentarfilm, den ich 2013 gemacht habe. Mich hat es damals sehr beschäftigt, wie sich Menschen über die Jahre entwickeln, wie sich ihre Träume und ihre Werte verändern. Im Film habe ich Aufnahmen und Interviews aus der Gymerzeit aktuellen Aussagen von ehemaligen Klassenkumpels gegenübergestellt. „Another Year“ war gewissermassen das Titelstück des Projekts. 

 

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Another Year

has come and gone

a new one’s emerging

so let’s be happy and shout for joy

`cause time stops for noone


 

zwei ältere Versionen des Stücks, beide von 2013: einmal ein Ausschnitt, gesungen von Anna Gosteli. Und einmal im Sextett, gespielt von Lukas Thoeni, Matthias Kohler, Michael von Rohr, Andreas Aeberhard, Tobias Friedli und mir

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Nicole, du hast ein Workbook für Saxophon geschrieben – und zwar unter hohem Zeitdruck. Wie kam es dazu?

Ich hatte schon lange die Idee, die Stücke, die in meinem Kopf herumschweben, mal zu Papier zu bringen. In der Coronazeit hat es mich dann endgültig gepackt. Ich habe gedacht, ich nutze die freie Zeit und tue endlich all das, was schon lange in meinem Köpflein rumschwirrt. Unter anderem dieses Workbook! Es sind einfach ein paar Song-Ideen, von Klassik bis Jazz. Eigentlich ein Schmankerl für diejenigen, die sich meine Musik gerne anhören, und die sie auch selber spielen möchten.

 

Es sind 39 Stücke, und 39 Lebensjahre. Hast du dir überlegt, bis zur runden 40 zu warten?

(lacht) Warum warten, ne? Irgendwo muss man halt anfangen. Und dann kann man weiterspringen. Wenn ich jetzt über dieses Workbook drüber gehe, finde ich immer wieder Dinge, die ich besser machen könnte. Das Schöne ist nun, dass ich das korrigieren kann, und das Update dann an alle weiterschicken kann, die es bereits gekauft haben. Das könnte ich nächstes Jahr auch wieder tun. 

 

Ist es für dich auch ein Weg, wegfallende Einnahmen etwas zu kompensieren?

Es ist ein neuer Weg, ja. Ich probier es mal aus, und habe keine Ahnung, ob es funktioniert. Aber es gibt schon einige Leute, die interessiert sind, und das macht mir sehr Freude. Ich möchte tatsächlich mein Unterrichtsstandbein mehr ausbauen, vor allem online. 

 

Hatte es auch mit Disziplin zu tun – dass das Projekt nun fertig ist?

(lacht) Das Ziel ist der Weg, oder wie heisst das? Ich wusste, wann es fertig sein sollte. Und dann hab ich halt in den Lücken, die seit März entstanden, richtig Gas gegeben. Wenn ich was im Kopf habe, dann zieh ich es auch durch. Bisher war es immer so, dass ich etwas fallen gelassen habe, wenn ich nicht ganz überzeugt war. Aber hier wusste ich, ich will das machen! Also muss es raus. Wenn der innere Drang da ist, dann geht es. 

 

Wie wichtig ist denn sonst Selbstdisziplin, in deinem Alltag, für deine Musik?

Ich war mal bei Dave Liebman in den USA in einer Masterclass. Er hat gesagt, wenn ihr übt, macht euch eine Liste mit Dingen, die ihr erreichen wollt, und nehmt euch zuerst dasjenige heraus, das am wenigsten weit entfernt ist. Wenn man diese kleine Ziel schafft, bekommt man ein gutes Gefühl, und mit einem guten Gefühl packt man auch die schwierigeren Sachen an. Das habe ich mir zu Herzen genommen. Deshalb habe ich mir von all den Ideen zuerst die Komposition von Saxophonquartetten rausgesucht – das wollte ich auch schon lange machen, und es war ein Ziel, das einfach zu erreichen war. Ich habe im April und Mai drei Saxophonquartette geschrieben. Und als nächstes kam dann das Workbook dran.

 

Und was kommt jetzt?

(lacht) Steile Vorlage! Hmmm. Das Langzeitprojekt ist meine Komposition für Symphonieorchester. Daran habe ich schon 2016 in New York zu schreiben begonnen. Und ein weiteres langfristiges Ziel ist ein Konzert nächstes Jahr. Ich muss – oder ich darf! – mit einem Symphonieorchester aus Metz auftreten. Dafür muss ich extrem viel üben. Und ich habe mir vorgenommen, dazu auf YouTube immer wieder eine Übesequenz hochzuladen, und zu erklären, wie man ein Stück auswendig lernen, oder wie man es analysieren kann. So kann ich auch etwas weitergeben.

 

Du gehörst zu denjenigen, die den Dreh richtig raus haben in Sachen Präsentation auf sozialen Medien. Und du wirkst dabei ganz sympathisch und überhaupt nicht marktschreierisch.

Ja, das ist halt so ein Ding, das Selbstmarketing… ich versuche möglichst nicht zu künsteln, sondern einfach das zu präsentieren, was ich grad so mache. Aber immer ein bisschen mit Abstand. Ich präsentiere mich nicht als Privatperson, dafür bin ich zu scheu. Aber als Musikerin teile ich gerne das, was ich mache. Es ist ein guter Weg, mit seiner Musik rauszugehen. Und es bringt mir wirklich neue Schüler und neue Gigs. Ich habe schon ein paar Konzerte dank Facebook angeboten bekommen. Aber das Private möchte ich raushalten. 

 

Und zum Schluss noch: was für Musik hörst du dir im Moment an?

Ich höre sehr viel klassische Musik. Und isländische Musik! Ich bin so fasziniert, weil die so unendlich ist, und so weit.