Urs Vögeli führt seit rund fünf Jahren ein politwissenschaftliches Beratungsunternehmen und schreibt an seiner Dissertation. Kennen gelernt habe ich ihn im Coworking Space Effinger, wo ich tageweise arbeite, und wo er seinen Firmensitz hat. Wann immer wir bisher in einer der lockeren Znüni- und Mittagspausenrunden aufeinander getroffen sind, haben wir vor allem über Musik gesprochen – Urs ist in der Jugendmusik- und Brassbandszene gross geworden und hat es in der Militärmusik bis zum Offizier gebracht. Während seines Politologiestudiums studierte er nebenbei an der Zürcher Hochschule der Künste Komposition. Zudem ist Urs absoluter Legofan. Er baut die komplexesten Dinge nach, vom Star Destroyer über ein Modell seines Wohnorts bis hin zu professionellen Projekten für Kund*innen.
Dass Urs und ich das Heu politisch eher nicht auf der gleichen Bühne haben, wurde mir erst nach und nach klar. Genauso klar wie die Tatsache, dass dies eine Chance sein kann – weil mein persönliches Umfeld sonst ziemlich homogen ist. Es lag für mich deshalb auf der Hand, Urs als Interviewpartner in dieses Projekt zu integrieren. Ich habe ihn gefragt, ob ich eines seiner Stücke auf meine eigene Weise interpretieren dürfe. Er schickte mir sein Stück „Sphere Music“ zu, eine symphonische Dichtung, die er mit 16 komponiert hatte, und die Jahre später von einem Rekrutenspiel professionell aufgenommen wurde.
Urs, kannst du mir deine musikalische Geschichte beschreiben?
Musik liegt bei uns in der Familie. Mein Vater hat selber Musik gemacht, und ich habe einen Onkel, der Profidirigent ist. Ich habe früh angefangen, in der Blasmusik Schlagzeug zu spielen. Mein Vater liess mich schon als kleiner Bub mit seiner Betriebskapelle ab und zu mal eine Polka oder einen Walzer mitspielen. Im Nachhinein muss ich sagen, dass es mega schön war, in dieser Diversität von Menschen aufzuwachsen. Mit älteren Leuten, mit mittelalterlichen Leuten, mit Familien.
Die Musik hatte also einen sehr wichtigen Stellenwert in deinem Leben. Oder immer noch?
Nicht mehr so. Ich höre aber immer noch gern Musik. Vor allem Filmmusik.
In deinem Leben gibt es auch noch Lego – was ist dir wichtiger?
Lego!
Ist das aktuell so, oder könnte das wieder ändern?
Es könnte sicher wieder ändern (lacht).
Wenn du einen Wunsch frei hättest, inklusive unlimitiertem Zeit- und Finanzbudget, was würdest du dann musikalisch anpacken?
Hmmm… ich würde mindestens eines meiner Stücke fertigschreiben. Ich habe zwei grössere Stücke für Blasorchester in der Schublade. Für volles Orchester, mit Kontrabass, vielleicht Klavier, vielleicht Harfe.
Klingt super!
So. Jetzt komme ich mal ein bisschen mit den schwierigen Fragen…
(lacht)
Ich dachte früher, so ein Coworkingspace sei eine Bubble – sehr urban und links halt. Dass eine Tendenz dazu zwar besteht, aber die Realität vielschichtiger ist, habe ich unter anderem wegen einer bestimmten Situation vor ein paar Jahren festgestellt. Jemand verabschiedete sich vom Space, weil er sagte, er könne nicht an einem Ort arbeiten, wo es „Leute wie dich“ gebe. Erinnerst du dich daran?
Ja klar, sehr gut.
Was ist da genau passiert?
Es war im Rahmen der Selbstbestimmungsinitiative der SVP, für die ich mich engagiert habe. Ich spreche hier im Coworking eigentlich selten von Politik, ausser wenn jemand mich danach fragt. Diese Person fand, die Initiative verstosse gegen die Menschenrechte, gegen die Grundwerte des Effingers gewissermassen. Er ist dann plötzlich nicht mehr gekommen. Ich habe erst später über zwei Ecken erfahren, dass es deswegen war.
Hat die Situation etwas mit dir gemacht?
Ja, schon. Es gab im Vorfeld zur Initiative auch weitere Stimmen, eine Mail, und eine Anfrage auf Twitter, ob die Leute hier überhaupt wüssten, dass jemand wie ich hier sei. Das hat mich schon mega getroffen. Aber ich habe vom Effinger rasch einen starken Rückhalt gespürt. Es wurde gesagt: wo, wenn nicht hier, soll man eine andere politische Meinung vertreten können?
Im konkreten Fall fand ich es schade, dass er nie mit mir gesprochen hat. Ein Gespräch hätte ich noch cool gefunden, mit der Frage: warum bist du überhaupt für diese Initiative, und hast hier deinen Firmensitz? Wie siehst du das? Eine Konfrontation hat nicht stattgefunden. Das fand ich noch krass.
Du gehörst zu den Mit-Initiant*innen der Effinger-Services. Dort geht es darum, dass sich Berufsleute unterschiedlicher Branchen miteinander vernetzen und gemeinsam an Kundenaufträgen arbeiten. Diese Services werden unter anderem mit dem folgenden Satz beschrieben: „Wir leben die Vielfalt“. Was bedeutet dir diese Aussage?
Ich finde Vielfalt einfach besser. Geschäftlich gesehen ist der Austausch interessant, man entdeckt neue Perspektiven, kommt auf ganz neue Ideen. Je vielfältiger desto besser! Im Effinger ist die Community sehr wichtig. Die Gemeinschaft. Die lebt von einer gewissen Diversität. Da habe ich allerdings zwei Ansichten: einerseits denke ich, es ist crazy, was wir hier haben, wie viele Berufe man hier findet – wie divers wir also sind. Andererseits denke ich, wir sind trotzdem ziemlich eine Bubble. Mit unserer Sprache zum Beispiel. Und auch wenn man es gesamtgesellschaftlich anschaut. Die meisten hier sind zwischen 30 und 40, haben Familie. Es wäre schön, wenn wir mehr ältere Menschen da hätten.
Du suchst in deiner Arbeit die Vielfalt – du beziehst zum Beispiel in Projekten häufig explizit die Perspektive von Künstler*innen mit ein. Weshalb? Was gewinnst du daraus?
Ein cooleres Leben (lacht).
Inwiefern?
Ich weiss es nicht. Es ist einfach spannender. Ich glaube, wegen all der Herausforderungen, die sich uns als Gesellschaft, als Organisationen stellen, kommen wir nicht darum herum, in diese Richtung der Vielfalt zu gehen. Es ist schön, hier eine Vorreiterrolle einzunehmen.
Worin liegt für dich der gesellschaftliche Zusammenhang?
In der Fragmentierung. Wir stehen am Übergang von einer Welt in die Nächste. Den Weg der rationalen, hierarchischen Struktur, der Arbeitsteilung, werden wir in Zukunft verlassen. Ich war halt schon immer ein Querschläger, überall wo ich bin. Ich habe eine Rolle als Übersetzer, ich führe Dinge zusammen, und ich schaffe gern Verbindungen, die es bisher noch nicht gab.
In Sachen politische Ansichten können wir es so auf den Punkt bringen: du hast für Kampfjets gestimmt. Und ich dagegen. Wie ist es für dich – hälst du beruflich mit deinen politischen Ansichten eher hinter dem Berg? Oder sprichst du darüber?
Spannend ist: bei vielen Kunden ist das überhaupt kein Thema. Und im Effinger möchte ich auch nicht immer politisch diskutieren. Eigentlich debattiere ich gern. Und ich kann auch sehr hartnäckig sein. Es kann schon vorkommen, dass ich sage: lass uns über Kampfjets diskutieren! Aber ich bin weggekommen von diesen eindeutigen Positionen. Obwohl ich die eigentlich schon habe. Um ein bisschen zu provozieren und zum Denken anzuregen sage ich manchmal: Ich bin Hardliner. Ich bin nationalkonservativ, rechtsliberal, o.ä. Meine Positionen sind also nicht Positionen der Mitte. Obwohl es natürlich eine ganz spannende Frage ist, was die Mitte überhaupt ist. Aber ich finde, auf die Positionen kommt es in Sachen Zusammenarbeit und Beziehungen gar nicht an.
Worauf kommt es denn an?
Bei unseren Projekten kommt es darauf an, dass wir miteinander reden. Dass wir uns gegenseitig verstehen. Man muss nicht immer Verständnis haben für alles. Ich verstehe auch Toleranz anders – Toleranz heisst Aushalten von Spannungen, und nicht unbedingt Abbauen von Spannungen. Als Unternehmer sage ich: warum schreien wir immer sofort nach dem Politischen? Lass uns doch einen Verein gründen, eine Firma, Lösungen finden für unsere Probleme durch das Tun, statt durch das Politisieren. Es ist immer die Frage: soll man zuerst eine Beziehung entstehen lassen, so dass man dann auch einmal streiten kann? Oder macht man die Beziehung von Anfang an kaputt, indem man sehr kontrovers ist? Man spricht ja von Anchoring. Was hast du für einen Anker von jemandem, wenn du ihn zum ersten Mal siehst. Im Moment vermeide ich in meinen Begegnungen, dass dieser Anker der ist, dass ich SVPler bin. Hier im Effinger fragen die Leute natürlich auch nicht danach. Sie fragen, was ich für ein Geschäft führe, und finden heraus, dass ich Lego mag, und dann haben sich schon so viele Anker ergeben, bevor das Politische überhaupt ein Thema war. Es wird dann schon respektiert. Aber es ist eher so: aha, das ist noch spannend, next! (lacht).
Gibt es Situationen in einer grösseren Runde, wo es dich kitzelt? Wo sich alle soooo einig sind, und du siehst es ganz anders?
Das mag ich natürlich gern. So ein bisschen stochern wenn es in einer Runde stimmt. Das habe ich hier auch schon gemacht, und dann ergeben sich interessante Gespräche. Bei gewissen Themen gibt es schon eine Art Schweigespirale. Und wenn dann ein Frecher kommt, merkt man, dass es noch zwei, drei andere gibt, die froh sind, dass man etwas sagt, weil sie selber Fragezeichen haben.
Gibt es solche Situationen in deinem privaten Umfeld auch? Oder passiert das nur hier?
Nein, das gibt es schon eher hier.
Hast du auch schon einmal aufgrund einer Diskussion hier im Effinger die Meinung geändert?
Wenn du explizit die Politik meinst, zum Beispiel eine Volksabstimmung, dann noch nie. Persönlich, geschäftlich, zwischenmenschlich natürlich schon.
Es muss ja auch nicht grad eine Volksinitiative sein. Es könnte auch etwas Kleineres sein.
Doch, ja, das schon. Zum Beispiel rund um das Grundeinkommen. Dafür würde ich jetzt zwar immer noch nicht Ja stimmen. Aber wir haben zur Thematik auch schon gute Diskussionen geführt im Effinger, wo ich danach gesagt habe: das habe ich mir noch nie überlegt. Das ist schon noch interessant.