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#39 Lonesome Cowboy feat. Urs Vögeli

2020 erschien das erste Soloalbum des Schaffhauser Jazzgitarristen Urs Vögeli. Nach der Lektüre eines ausführlichen Porträts im Magazin Jazz’n’More setzte ich das Album auf meine Unbedingt-Anhören-Liste, kam aber, da ich diese nur äusserst unsystematisch und unregelmässig abarbeite, erst Ende Jahr wieder darauf zurück. Zum Glück – denn das Album ist toll! Meine subjektive Einschätzung: europäisch geprägte Amerika-Sehnsuchts-Musik, aufrichtig und respektvoll gespielt, mit genau richtig wenig Selbstironie.

 

Urs ist extra nach Bern gereist, um mein Stück „Lonesome Cowboy“ – leider nicht in der Prärie, sondern mitten in der Stadt – einzuspielen. Es ist mein Lucky-Luke-Stück, ebenfalls ein Konstrukt meiner kapitalismusgeprägten Idee des Wilden Westens, so ein luftiges Stück Nichts, gefüllt mit naiven Klischees.

 

Und wir haben ganz lange über ganz verschiedene Themen gesprochen.

 

Du interessierst dich für amerikanische Musik – das hört man deinem Soloalbum deutlich an. Haben dich der Blues, die Roots Music, schon immer interessiert?

Es begann mit etwa 14, 15 Jahren. Ich hatte da meine erste E-Gitarre, hörte mir Jimi Hendrix und Eric Clapton an, und merkte schnell, dass das, was die spielen, eigentlich von dieser früheren Musik kommt. Anfang der 90er Jahre war ja die Hochblüte der CD-Zeit, und all die verschollenen Aufnahmen kamen zum ersten Mal heraus. Das hat mich total fasziniert.

 

Erinnerst du dich an die erste Platte, die dir richtig den Ärmel reingezogen hat?

Ja! Ich war damals gerade in Neuenburg in einem Internat. Ich weiss noch genau, wie ich einmal in den CD-Laden gegangen bin, und die komplette Box mit allen Aufnahmen von Robert Johnson entdeckte. Es gibt von ihm nur ganz wenige Aufnahmen – er gehört auch zum 27er Club. Diese Aufnahmen als CD in den Händen zu halten, und später das Original von Sweet Home Chicago zu hören, zum Beispiel, das war schon eindrücklich.

 

Hast du Jazz dann schlicht mangels Alternativen studiert?

Nein, das nicht (lacht). Klassische Musik hat mich nie interessiert, und Popmusik fand ich zwar cool, habe aber nach etwas anderem gesucht. Darum habe ich irgendwann gemerkt, dass ich an die Jazzschule muss, wenn ich Musiker werden will. Ich habe mir in einem Plattengeschäft in Schaffhausen zwei Jazzplatten gekauft: eine von Wes Montgomery und eine von John Scofield. Dann habe ich Unterricht zu nehmen begonnen, und es ist eine Welt aufgegangen für mich. Der ganze Aspekt der Improvisation im Jazz ist extrem wichtig für mich.

 

Jazz ist ja auch amerikanische Musik. Und die ganze amerikanische Popkultur beeinflusst uns hier stark – die Faszination für das, wofür Amerika steht, die Sehnsucht nach Prärie und Weite. Gehört das für dich auch dazu?

Für mich war es zuerst einmal erschreckend zu merken, dass ich als Schweizer eigentlich keine Musikerkultur kenne. In Schaffhausen gibt es ja nicht einmal Naturjodel. Von diesem ganzen Konsum, der Popkultur, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus den USA zu uns kam, sind wir natürlich stark geprägt. Das sehe ich auch sehr kritisch. Man hat immer so falsche Vorstellungen davon, wie das ist, wenn der Blues ein Teil der Kultur ist. Dabei wird das historische Erbe dort oft gar nicht gepflegt. Viele der alten Spielstätten wurden einfach abgerissen. Ich war mal an der Beale-Street in Memphis, das ist jetzt einfach eine Touristenfalle. 

 

Die „Black Lives Matter“-Bewegung hat auch Jazzmusiker*innen zum Nachdenken gebracht. Die Frage, ob wir der Geschichte des Jazz als weisse Europäer*innen mit genügend Respekt begegnen, beschäftigt mich sehr.

Das Thema der kulturellen Aneignung meinst du. Grundsätzlich finde ich: Jazz, oder Blues, ist einfach mal Musik. Aber was damit nachher an Klischees transportiert wird, ist natürlich schon etwas anderes. Die Musik ist ein Rohmaterial, das man auf sich wirken lassen kann. Aber es ist wichtig, sich mit dem sozialen Umfeld, der Geschichte, dem Hintergrund auseinanderzusetzen.

 

Mir ist kürzlich eingefallen, wie wir im Vorkurs für die Jazzschule „Watermelon Man“ von Herbie Hancock gespielt haben (zum Hintergrund des Stücks mehr Infos hier  – wir wussten nicht mehr, als dass es ein funky tune war.

Es tut uns allen gut, dass dieses Thema da ist, und dass wir uns damit auseinandersetzen. Als ich das erste Mal Watermelon Man gespielt habe, hat auch niemand hat etwas gesagt dazu. Es war für mich einfach ein Vehikel, um etwas zu lernen. Ich bin jetzt schon aufgeklärter, und bin sehr froh darum.

 

Auch die Coronakrise führt dazu, dass sich der Blick auf gewisse Themen verändert. Viele Musiker*innen sagen, sie möchten nicht weitermachen wie bisher. Hat sich bei dir auch etwas getan?

Grundsätzlich möchte ich nicht mehr für sehr kleine Gagen an Gigs reisen. Ich überlege mir zum Beispiel, Konzertserien zu machen, viermal am gleichen Ort, und Leute zum spielen einzuladen, die lokal dort wohnen. Solche Sachen. Das andere: ich habe mein eigenes Plattenlabel gegründet. Die Musikmacherei ist ja ein professionelles Hobby geworden. Die Digitalisierung ist gescheitert, man müsste das Musikbusiness neu denken, es müsste genossenschaftlich, communitybasiert aufgebaut sein. Für uns Nischenmusiker*innen wäre vielleicht eine nationale Plattform interessant, mit fairen Konditionen. Ich finde, man muss andere Wege suchen.

 

Mit deinem Label Rabbit Hill möchtest du also etwas bewegen?

Genau, mit Claude Meier zusammen. Wir möchten unsere Musik nicht auf Spotify stellen. Für mich schliesst sich hier der Bogen zur Oldtime-Musik – damals war Musik etwas Lokales. Es ist erst etwa hundert Jahre her, seit man Musik aufnehmen kann, und Tonträger hat. Früher musste man an einen Ort gehen, wo Musik aufgeführt wird! Und das wäre ja eigentlich immer noch der Kern der Sache.

 

Du hast komplett recht, das ist für mich gerade wie ein Aha-Erlebnis. Seit Corona beschäftigt es mich sehr, wie Musiker*innen sich lokal für eine Community engagieren können. Vor den Tonträgern ging es ja gar nicht anders. 

Ich finde es schon wichtig, dass man aus seiner Heimat rausgeht. Das soll man unbedingt beibehalten. Es lohnt sich, unterwegs zu sein, in den Zug zu steigen und ein halbes Jahr in Paris zu verbringen. Es kann auch sein, trotz Klimakrise, dass man sagt, ich gehe ein halbes Jahr nach New York! Das muss möglich bleiben. Wir sollen nicht provinzielle Kleinstädter*innen werden, sondern offen bleiben, nicht nur für musikalische Einflüsse. Ich möchte nur, dass wir uns überlegen, wie wir das organisieren.

 

Es muss ja auch nicht heissen, dass man zuhause versauert. Man kann sich kulturelle Inputs ja auch herholen, Leute einladen, was dann nicht nur einem selber etwas bringt, sondern auch dem Ort, wo man lebt.

Genau. Und dafür kann man wiederum auch die guten Seiten des Internet gut brauchen. Die Möglichkeit des Austauschs und des Vernetzens.

 

Wenn Zeit und Geld kein Thema wären – was für ein musikalisches Projekt würdest du gern verfolgen?

(Zögert lange). Ich würde genau das machen, was ich mir sowieso vorgenommen habe – ein Trio, das verdunkelte Countrymusik spielt. Das ist sowieso mein nächstes Projekt, egal ob ich Zeit und Geld habe. Ich könnte mir gar nichts Besseres wünschen! Es wäre schön, eine Aufnahme zu machen, in den nächsten zwei Jahren damit 20 bis 40 Konzerte vor je 50 Personen zu spielen, von denen jeweils 10 die Platte kaufen und sich für den Newsletter einschreiben. So dass ich irgendwann 1000 interessierte Leute auf der Liste habe, und nach dem Projekt eine schwarze Null schreiben kann. Ich gehe gerne unterrichten, um meine Miete zu bezahlen. Ich habe gar nicht so viele Bedürfnisse. Ich möchte halt einfach, wie alle, gehört werden. 

 

Wie meinst du das?

Ich wollte die Musik auch schon an den Nagel hängen. Aber unterdessen weiss ich: die Musik scheint mein Daseinszweck zu sein. Ich bin hoffnungsloser Idealist, ich bin philosophisch veranlagt, und bin sehr dankbar für die Musik, dank der ich mit Menschen in Austausch kommen kann, und mit der ich meine Wahrheit mitteilen kann. Ich wünschte, dass jeder Mensch so etwas erfahren kann. Dass jeder etwas hat, das ihn in einen Flow bringt, wo er oder sie ganz bei sich ist, und nicht einfach ein Rädli, das arbeiten und konsumieren muss. Ich versuche das für mich zu erreichen. Und irgendwie glaube ich, dass das die Menschen in meinem Umfeld auch mitbekommen, und sie merken, dass das nicht nur uns Musiker*innen vorenthalten ist. sondern dass sie das auch tun könnten. Auch wenn es nur eine halbe Stunde ist pro Tag, die sie sich dann für sich ganz allein nehmen.

https://www.instagram.com/ursvoegelish/
www.ursvoegeli.ch
www.rabbithillrecords.ch

... nochmal Cowboys, aber diesmal gar nicht so lonesome: Urs Vögelis Stück "Midnight Cowboys" aus seinem Soloalbum, das hier erhältlich ist: